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Die beflügelnde Wirkung des Hässigseins

Die Haltung, welche viele Menschen aus meinem Umfeld gegenüber der Politik haben, hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Erfreulicherweise. Wo ich früher noch vergeblich versuchte, Menschen zu überzeugen, dass jede Person es schaffen kann, Veränderungen anzuleiten und voranzutreiben, stimmen mir die meisten dieser Leute heute zu. Von «Pff, was kann ICH denn schon erreichen? Bringt doch alles nichts» über «Auch Veränderungen auf Mikroebene können grosse Wirkung erzeugen» zu «Ich kann Politik mitgestalten, wenn ich das möchte und das dazu zur Verfügung stehende Werkzeug nutze». Auch meine Meinung diesbezüglich unterzog sich mehreren Umformungen. Aufgewachsen unter extrem privilegierten Umständen, fand ich zu meiner Jugendzeit alle Menschen doof, die es bereits aufgegeben hatten sich zu engagieren. Voller Enthusiasmus schien mir zu dieser Zeit tatsächlich alles möglich! Dann traf ich auf die Welt. Ich durfte so viele unterschiedliche Realitäten mitleben und mich unter anderem auch irrsinnig über Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Ohnmacht aufregen. Mein Enthusiasmus entwickelte sich zu einer generellen Abneigung gegen die Weltpolitik. Ich verstand auf einmal die Menschen, welche nicht daran glaubten, je etwas verändern zu können. Mein Umfeld, politischer Aktivismus und meine Arbeit in verschiedenen Institutionen, welche täglich – und zwar sichtbar – durch politische Entscheidungen beeinflusst werden, brachten mich wieder auf die Schiene, die ich in meiner Jugend fuhr. Zu meinem jetzigen Bestreben, in einem politischen Amt aktiv zu werden, führte schlussendlich meine Überzeugung, unter allen Umständen tatsächlich etwas bewirken zu können. Und mein Hässigsein.


Denn ich war hässig. Ganz lange sehr hässig. Hässig über politische Dynamiken, die mir nicht passen. Hässig, weil meine Argumente zwar wahrgenommen, aber nicht gehört wurden. Hässig über Dekontextualisierung und Fehlinformation. Hässig über Bewusstseinslücken und das gesellschaftliche Desinteresse, solche Lücken zu schliessen. Hässig, weil mich unsere Gesetze nicht schützen konnten. Hässig, weil sozial- und umweltpolitische Themen nicht ernstgenommen wurden. Hässig, weil ich nicht ernstgenommen wurde. Und dann war ich hässig über mein Hässigsein. Weil hässig sein nicht produktiv ist. Weil hässig sein nichts bewirkt.


Damit lag ich teilweise richtig und doch auch komplett falsch. Sich ungehört oder nicht ernstgenommen zu fühlen macht hässig. Und das ist auch gut so. Denn Hässigsein gehört zum Leben, genauso wie Glücklichsein. Es bewegt. Mich hat es zumindest bewegt. Ich war es leid, einfach immer nur hässig zu sein und mich zu beklagen. Ich wollte mich endlich auf dieses Gefühl einlassen, darauf aufbauen und davon profitieren - abgesehen davon, dass Hässigsein manchmal einfach nur ein Gefühl ist, welches sich scheinbar grundlos gut anfühlt. Warum fühle ich mich von Politik und Gesellschaft so oft missverstanden, ungehört, unbeachtet? Weil meine Stimme unter- oder gar nicht repräsentiert ist, sie unterdrückt oder bewusst ignoriert wird.


Was kann ich dagegen unternehmen? Mitreden und letztendlich mitmischen. Das habe ich nun vor. Beziehungsweise: Da stecke ich gerade mittendrin. Meine Kandidatur auf ein freigewordenes Kantonsratsmandat im Kanton, in welchem ich grossgeworden bin und welcher mich geprägt hat, läuft bereits seit mehreren Wochen. Ich möchte hier im Ausserrhodischen eine Stimme sein, die Lebensrealitäten und politische Arbeit im Konsens zusammenbringen kann. Meine Stimme soll verschiedenste andere Stimmen reflektieren können und sich für eine soziale, nachhaltige und bewusste Gesellschaft ausdrücken, welche sich aktiv an politischen Entscheidungen engagiert. Ich möchte mein und dein Hässigsein nutzen, um Veränderungen voranzutreiben und mitzugestalten. Deshalb stehe ich nun mit einem Bein in einem politischen Amt.


Politik ist immer und überall und sie beeinflusst unseren Alltag ständig. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass eine grösstmögliche Diversität an jungen und alten Menschen aktiv am politischen Geschehen teilhaben sollte. Wir stellen hohe Anforderungen an unsere Demokratie. Und genau diese Demokratie stellt mindestens eine Forderung an uns zurück: Partizipation. Mit meinem Einstieg in ein politisches Amt möchte ich besonders diese Partizipation - das Mitreden, Mitentscheiden und Mitformen unserer Gesellschaft – zurück in den Fokus bringen und ihn jungen und alten Menschen schmackhaft machen. Dafür muss sich eine Person nämlich nicht zwingend in einen politischen Dienst stürzen. Politische Beteiligung ist auch, wenn diese Person sich mit politischen Themen auseinandersetzt, sich eine Meinung bildet und diese zum Beispiel durch Wählen und Abstimmen kundtut. Ich habe mich entschieden, dass mein Hässigsein sich für die Zukunft lohnen soll. Bewirken kann jemensch immer etwas.

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